New York – Wenn man einen Haufen Superlative und die Kulissen der großen Festtagsfilme mit nie endender Reklame, Kaufangeboten und Kitsch mischt, dann landet man unweigerlich im weihnachtlichen New York. Ein Winterspaziergang.
Das erste Haus am Platz
Die Lobby des Plaza-Hotels am Central Park in Manhattan sieht aus, als wäre es wieder 1992. Man könnte fast erwarten, dass gleich der kleine Kevin McCallister aus «Kevin – Allein in New York» an den reich geschmückten Bäumen im marmornen Säulengang vorbei schlendert – und wie im Film einem jüngeren Donald Trump vor die Füße läuft.
Die Frau an der Rezeption schaut geduldig und wissend, als der Besucher seine Frage vorträgt. Es geht wieder um den Film, das war ja klar! «Es ist ein Phänomen», erklärt sie. Harmlos seien jene, die nur Fotos machten. «Andere sagen, dass sie Kevin sind und einchecken wollen». Und was ist mit Mr. Trump? Geht der hier auch noch ein und aus? Ein mildes Lächeln: «Nein, das ist schon viele Jahre her».
Der Weihnachtsmann
Es mag nicht die feierlichste Beschäftigung sein, auf den Spuren des US-Präsidenten zu wandeln. Doch sein Hochhaus mit den fünf goldenen Lettern ist vom Plaza-Hotel selbst im nasskalten Gedrängel auf der 5th Avenue nur zwei Gehminuten entfernt. Und wenn man sich drinnen an schwer bewaffnetem Sicherheitspersonal, Trump-Shirts, Trump-Schmuck und dem Trump-Cafe vorbeigearbeitet hat, wartet da im roten Sessel: der Trump-Weihnachtsmann. Ganz klassisch mit Bart und Mantel, die rote Mütze hat keine Aufschrift.
In der Schlange herrscht Anspannung. Wie wird er sein? Was wird er sagen? Ob man auch auf dem Schoß sitzen darf? Der Weihnachtsmann streckt schließlich seine Hand aus und drückt väterlich zu. Dann geht alles ganz schnell: Auf der Lehne Platz nehmen und nett in die Kamera lächeln. Es blitzt. Doch da ist noch etwas, das auf der Seele brennt. Die geflüsterte Frage: «Sind sie Trump-Wähler, Weihnachtsmann?»
Santa Claus taxiert sein Gegenüber ruhig über die Brillengläser hinweg, sagt erst nichts. Dann holt er schließlich Luft: «Ich werde Dir Deine Frage beantworten». Eine Kunstpause. «Ja». Dabei schüttelt er den Kopf.
Die Konsumhölle
Auf der Straße wird die ruhige Aura des Weihnachtsmannes von den Besuchermassen weggespült. Gäbe es Olympische Spiele des Weihnachtsshopping, die 5th Avenue mitten in Manhattan wäre ihre Hundert-Meter-Strecke. Das berühmte Lichtspiel vom geschmückten «Saks»-Kaufhaus betäubt die Augen, die Flagship-Stores fahren alle verfügbaren Superlative auf, der Broadway zeigt die großen Klassiker wie
«A Christmas Carol» – und die Showgruppe
«Rockettes» tanzt fast jeden Tag. Da bleibt fast keine Zeit für Besinnlichkeit.
Spätestens seit Thanksgiving ist die Werbeindustrie im roten, weißen, glockenläutenden Dauerrausch. Und das legendäre Spielzeuggeschäft «FAO Schwarz» hält das New Yorker Konsumversprechen tatsächlich ein: Eine Magierin versetzt Kinder ins Staunen, durch die Beine der Besucher fahren kleine Autos, über ihre Köpfe brausen Mini-Drohnen.
Der Baum und die Bahn
Und als die Drehtür des Spielzeugladens den Spazierenden wieder auf die Straße spuckt, steht man plötzlich im Epizentrum des Weihnachtsuniversums. 23 Meter hoch, 14 Tonnen schwer und mehr als 50.000 bunte Lichter hell ist die Fichte am Rockefeller Center. 750.000 Besucher sollen zum berühmtesten Weihnachtsbaum der Welt kommen – pro Tag.
Kann es einen besseren Ort geben, um sich zu blamieren, als die Eisfläche vor dem Baum? Es ist leerer als erwartet. Was vielleicht auch am Preis von 46 Dollar liegt, für den man nach Fußschweiß riechende, von innen leicht feuchte Schlittschuhe inklusive bekommt. Eislaufexperten zieht das offenbar nicht an: Wer sich nicht am Geländer festhält, umkrallt gerne den Arm des Partners.
Nur in der Mitte dreht eine junge Frau Pirouetten. Dann schlittert Diana Semmler aus Köln vorbei. Sie ist mit einer Freundin hergekommen und erfüllt sich auf der Eisfläche einen Kindheitstraum: «Mir war klar, wenn ich in New York bin, muss ich hierher, auf diese Eisfläche und diesen pottenhässlichen Baum sehen», sagt die 37-Jährige.
Der Mann mit der Gitarre
Es ist nicht weit bis in den Central Park, der dieser Tage voll ist mit Kutschen und schnaufenden Pferden. Auf einer nahen Brücke steht Eli’jah mit einer Gitarre in Schneematsch-Resten und singt sein Lied. Es handelt von den Problemen des Lebens, und dass sie angesichts von Weihnachten verblassen.
Doch wenn Eli’jah nicht singt, klingt er weniger versöhnlich. «Die Menschen sind nicht gut, Mann! Denen ist Weihnachten egal», schimpft er. Keiner gebe ihm Geld für seine Musik – ob nun Weihnachten sei oder nicht. «Da kam eine Frau und hat mich gefragt, wo sie eine Kutsche herkriegen kann. Die kosten 100 Dollar! Mir hat sie einen Einzigen gegeben!»
Gerade wohne er bei Familienangehörigen in Brooklyn. Er hänge ein bisschen fest, sagt Eli’jah. Dabei würde er eigentlich gerne nach Florida ziehen.
Ihm reichts für heute. Eli’jah packt seine Gitarre ein und geht die feuchtkalte Straße hinunter. Frohe Weihnachten und einen guten Tag, wünscht man. Eli’jah dreht sich um: «Ich werde keinen guten Tag haben, Mann! Meine Füße sind kalt. Aber irgendwann werde ich einen guten Tag haben. Eines Tages.»
Fotocredits: Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer,Benno Schwinghammer
(dpa)