Tourismus entdeckt das «Mikroabenteuer»

Stuttgart – Haben Sie schon mal im Schlafsack im Schwarzwald oder auf der Alb unter den Sternen übernachtet? Wie wär’s mit einer Wanderung, querfeldein und nur mit einem Kompass in der Hand? Ein Bad in einem kalten Fluss? Nichts davon? Dann wird es Zeit, meint Christo Foerster.

In seinem gleichnamigen Buch beschreibt er diese kleinen Fluchten aus dem Alltag als «Mikroabenteuer» – und zunehmend werden Tourismusbranche und Industrie darauf aufmerksam. «Das ist eindeutig ein Trend, denn es ist leicht, preiswert und spannend», sagt Andreas Braun, Chef des Tourismusverbands Baden-Württemberg. «Man sollte sich einfach trauen und machen.»

Gemeinsam mit Outdoor-Experten und Reiseanbietern versucht Braun, die eigentlich sehr individuelle Idee der Mikroabenteuer zu nutzen, um vor allem Naturliebhaber mit Trekkingcamps im Schwarzwald oder einer Hängebrücke in Bad Wildbad anzusprechen. Die Angebote zwischen Alb, Kurpfalz und Schwarzwald sind noch etwas übersichtlich, aber sie sollen ausgebaut und beworben werden. Denn Mikroabenteuer und Tourismus, das schließt sich nur vordergründig voneinander aus.

Vor allem für junge Zielgruppen interessant

Trekkingplätze mit Waldtoilette und Feuerstelle wie das Camp Kniebis im Naturpark Schwarzwald zum Beispiel sollen die Mikroabenteurer von der Region überzeugen – und tun es auch. Die sechs unbewirtschafteten Camps des Parks mit ihren jeweils drei Zeltplätzen seien enorm gefragt, sagt Jochen Denker vom Naturpark. «Man hat einen harten Kern, der es immer schon gemacht hat, und viele andere, die es einfach mal machen wollen.» Umsatz und Geld spült diese Outdoor-Form nicht in die Kasse, aber langfristig dürften sich Regionen vor allem für junge Zielgruppen interessant machen. Weitere Camps sind auch am Alb- und am Schluchtensteig im Südschwarzwald geplant.

Für Tourismus-Chef Braun ergänzt der Hang zur Nachtwanderung, zum Waldbaden und zum Aufwachen unter freiem Himmel «auf sympathische Weise» das bisherige Angebot der Branche. «Glatte Hochglanzangebote dazu kann es natürlich nicht geben», sagt er. «Der Einzelne will ja sein Abenteuer für sich erleben.» Die Suche danach sieht Braun auch als Gegentrend zur Urbanisierung und zum Zeitdruck, zur Globalisierung und als Zeichen in der Klimaschutzdebatte. «Die Menschen merken gerade, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, die Natur zu erleben.»

Sasha Hotz von der Schwarzwald Tourismus GmbH in Freiburg überrascht der Hang zum kleinen Abenteuer: «Wir sind schon vor Jahrzehnten auf Berge gewandert und haben draußen geschlafen», sagt er. «Jetzt gibt man dem einen Namen, die Industrie bietet Leichtschlafsäcke an und die Menschen springen auf.» Verantwortlich für diesen Drang nach draußen sind nach seiner Einschätzung vor allem die sozialen Medien: «Man postet ein Bild von seiner Hängematte zwischen zwei Bäumen und hofft, dass es anderen gefällt», sagt Hotz. «Das hat weniger mit Alleinsein und Natur zu tun als mit dem Image, Außergewöhnliches zu tun.»

Abenteuer, die jeder in seiner Umgebung erleben kann

Dem Ausbüxen – eigentlich ein schlichter Perspektivwechsel – hat der britische Abenteurer
Alastair Humphreys 2014 in einem Buch den Titel «Microadventures» verliehen. «Es geht um Abenteuer, die jedermann in seinem Alltag und in seiner Umgebung erleben kann», sagt der Autor, Blogger und Motivationstrainer, der selbst eigentlich eher als «Makroabenteurer» bekannt wurde: In vier Jahren radelte er um die Welt, er nahm am «Marathon des Sables» quer durch die Sahara teil und wanderte durch Indien und über die Gletscher von Island – bis er den Wert von Familie und der Welt vor der Haustüre erkannte.

Die Idee ist nicht neu, wie Hotz bereits anmerkt, aber sie scheint – nicht nur politisch – in die Zeit zu passen. «Die Sehnsucht nach Abenteuer und nach Natur ist im Menschen verankert. Sie wird aber in unserem alltäglichen Leben nicht mehr bedient», sagte Autor Christo Foerster. «Es geht darum, raus aus der Komfortzone zu kommen und sich aufs Ungewisse einzulassen.»

Einsteigern macht er Mut: Manche Menschen bräuchten einen Anstoß, um ihre Bequemlichkeit und vielleicht auch Ängste zu überwinden. «Aber es gibt null Ausreden, es ist keine Frage von Alter und auch nicht von Risiko», sagte Foerster. «Jede Nacht in der Natur ist weniger gefährlich als ein Spaziergang in der Großstadt.»

Fotocredits: Jochen Denker
(dpa)

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