New York – Rob und Mary Ann Gorlin sind ganz entzückt. Statt einer der vielen New Yorker Sehenswürdigkeiten steht auf dem Programm der beiden Touristen aus Detroit heute früh: 72nd Street Station, der neu eröffnete U-Bahnhof an der Upper East Side von Manhattan.
«Er ist so makellos und wunderschön innen», sagt Mary Ann über den sauberen, hellen Bahnsteig. Nach einem Blick auf das neue Streckennetz fahren die beiden in einem blitzenden Zug in Richtung Downtown davon.
Bald ein Jahrhundert ist vergangen, seit die ersten Pläne im Jahr 1929 für die Erweiterung an der Second Avenue im Gespräch waren. Erst kamen der Börsencrash und die Weltwirtschaftskrise dazwischen, dann verzögerten schlechtes Planen und Haushalten den Bau. Nach mehreren Grundsteinlegungen und Tunnelausgrabungen in den 1970er Jahren begannen 2007 schließlich die Bauarbeiten – und nun ist sie da. Mit Kosten von 4,5 Milliarden Dollar (4,2 Mrd. Euro) für drei neue Bahnhöfe ist die Subway schon jetzt die teuerste U-Bahn der Welt.
Makellos und wunderschön – für das zu Stoßzeiten überlastete, im Sommer stickige und von Ratten geplagte Streckennetz eine seltene Beschreibung. Der C-Train etwa gleicht einem rumpelnden Stahlungetüm, Verspätungen sind Alltag. Die ratternden, klappernden Züge nutzen an einem Wochentag im Schnitt 5,7 Millionen Menschen und verwundern Besucher aus München oder Berlin, die sonst sanft gleitende Bahnen, exakte Abfahrtszeiten und moderne Bahnhöfe gewohnt sind.
Ein Hauch von morgen weht nun an der 72nd, 86th und 96th Street, wo Touristen an Rolltreppen fotografieren und Pendler sich über kürzere Wege zur Arbeit freuen. «Die Bahn hier bringt mich direkt zum Times Square. Das könnten locker 20 Minuten sein», schätzt etwa Scott Schwamp seine Zeiteinsparung, der nach einem Kundentermin gerade zurück nach New Jersey will. «Wenn ich zum 6-Train gelaufen wäre, wäre ich zu spät gekommen», sagt Bäckerei-Managerin Latifah Williams.
Doch der Sprung ins 21. Jahrhundert gelingt der 1904 eröffneten Subway nur schleppend. Große Teile von Brooklyn, Queens und Staten Island fährt die U-Bahn überhaupt nicht an und lässt so manchen New Yorker in der «Subway-Wüste», wie ein Designer-Team die schlecht erreichbaren Gegenden getauft hat, nahverkehrstechnisch verdursten. Zwar versorgen die drei neuen, blitzblanken Stationen nun die Upper East Side – ob die erweiterte Q-Linie wie erhofft bis nach Harlem oder an die Südspitze Manhattans führen wird, steht in den Sternen.
Dabei hätte die Millionenstadt neue Streckenabschnitte bitter nötig: Im Berufsverkehr werden die schon jetzt mit höchstmöglicher Taktung fahrenden Züge dem Anstieg an Passagieren um zwölf Prozent zwischen 2009 und 2016 kaum noch gerecht, Knotenpunkte sind stark überlastet. Wer Pech hat, muss auf viel genutzten Strecken mehrere Züge abwarten, um sich dann in einen der vollen Waggons zu zwängen. Anzeigen oder Ansagen zu Abfahrtszeiten sind eher die Ausnahme.
Dass manche Passagiere sich mit weit gespreizten Beinen auf den Sitzen ausbreiten und Frauen begrapscht werden, macht das Gedränge nicht angenehmer. Die MTA hat mittlerweile eine eigene Plakatkampagne gegen das «manspreading» mit breiten Beinen gestartet, das auch als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird. Grapschern kommt die Polizei auch mit Aufnahmen von Überwachungskameras nur schwer auf die Spur.
Immerhin: Guter Handy-Empfang und kostenloses WLAN werden in der New Yorker U-Bahn langsam zur Normalität. Nach Plänen von Gouverneur Andrew Cuomo sollen für 27 Milliarden Dollar (25,4 Mrd Euro) mehr als 30 bestehende Bahnhöfe über die nächsten fünf Jahre modernisiert und wie in London, Paris und Berlin durchgehend begehbare Züge angeschafft werden. Auch bessere Beleuchtung, digitale Anzeigetafeln und Ladestationen mit USB-Anschluss in den Zügen sind Teil des Plans.
Bis dahin können sich die New Yorker über die Netz-Erweiterung über etwa 30 Straßenblocks freuen, deren Bau fast 100 Jahre dauerte. An der 72nd Street, wo am Donnerstag früh immer mehr Menschen in den dunklen Tunnel blicken und in langer Stille auf das nahende Rumpeln abwarten, sagt ein Mann: «Neue Station, dieselben Verspätungen.»
Fotocredits: Craig Ruttle
(dpa)