Leavenworth – Zwischen Holzschnitzerei, Nussknacker und Tracht – Leavenworth wirkt bayerischer als ein bayerisches Dorf. Die Kleinstadt im Nordwesten der USA lebt vom weiß-blauen Brauchtum. Rustikale Architektur, Lüftlmalerei und deutschsprachige Wegweiser lassen Bayern-Flair aufkommen.
«Eine Million Besucher kommen jedes Jahr in unsere Stadt», schätzt Bürgermeisterin Cheri Farivar. Der 2000-Einwohner-Ort im Bundesstaat Washington lebt vom Tourismus.
Bayerische Kultur ist ein Exportschlager. In Nord- und Südamerika gibt es bayerische Dörfer. In China steht ein Nachbau von Schloss Neuschwanstein und das Münchner Hofbräuhaus hat laut Website mehr als ein Dutzend Kopien in den USA, China und Brasilien. Bier aus Maßkrügen ist weltweit beliebt. Auch in Leavenworth schenken Wirtshäuser Bier aus dem Freistaat aus und bieten auf ihren Speisekarten Schnitzel und Sauerbraten, Roulade und Leberkäse.
Warum gerade weiß-blauer Lebensstil gefragt ist? «Die Bayern inszenieren sich gut und das kommt gut an», fasst es Julia Lichtl, Volkskundlerin im Haus der Bayerischen Geschichte, zusammen. Und das, was viele Menschen mit Bayern verbänden – Oktoberfest, Dirndl und Schloss Neuschwanstein – das stehe dann oft gleich für ganz Deutschland. Das heutige Bayern-Bild sei im 19. Jahrhundert entstanden, vor allem durch die Landschaftsmalerei, sagt Lichtl.
Die Landschaft ist auch einer der Gründe, warum Leavenworth zum bayerischen Dorf wurde. In den frühen 1960er Jahren sei der Ort am Aussterben gewesen, sagt Farivar. Die Holzindustrie am Boden, Häuser mit Brettern vernagelt und Familien, die ihr berufliches Glück anderswo suchten. Eine Gruppe von Geschäftsleuten und Bürgern habe dann nach einem neuen Wirtschaftszweig gesucht.
«Der Plan war, mit privaten Geldern und ehrenamtlichem Engagement etwas Neues zu schaffen», berichtet die Bürgermeisterin. Nach etlichen Diskussionen über den Ort und die Schönheit der Berge und des Tales sei festgestanden: «Das neue Motto soll «Das bayerische Dorf» werden.» Die Menschen fanden, die Region ähnele Bayern. Damals hätten auch einige Deutsche in Leavenworth gelebt, die maßgeblich am Design und der Fertigstellung der Häuser mitwirkten.
Seen, Berge, weiß-blauer Himmel – derlei Motive seien in der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert beliebt und bei den Weltausstellungen begehrt gewesen, sagt Lichtl, die zu den Betreuern der Landesausstellung in
Kloster Ettal gehört. «Meist taucht auf den Bildern eine hübsche Sennerin auf, die sich mit einem feschen Jäger in Tracht unterhält.» Oft hätten auch Auswanderer solche Bilder gekauft und in ihre neue Heimat mitgenommen.
Die Bayern verstünden sich seit Jahrhunderten sehr gut darauf, ihre Traditionen und ihr Lebensgefühl in die Welt zu transportieren, sagt auch Sylvia Freund vom Bayern Tourismus Marketing in München. Gemütlichkeit, Geselligkeit, Gastfreundschaft – das seien Aspekte, die Menschen aus dem Ausland immer wieder aufs Neue begeisterten.
Bei den Weltausstellungen sei bayerisches Bier in großen Ausschankhallen angeboten worden, sagt Lichtl. Das habe die Vorstellung von den Bayern als gemütliches, Bier trinkendes Volk geprägt. Mit Schuhplattler und Geranien an den Balkonen befeuerten die Bayern diese Bilder zusätzlich. Hinzu komme, dass auch der Adel – in Bayern die Wittelsbacher – gelegentlich Tracht trug und Bier trank. So sei die bayerische Gemütlichkeit standesübergreifend gewesen.
Oft könne die bayerische Folklore mit alpenländischer Folklore gleichgesetzt werden, sagt Lichtl, nicht immer würde zwischen Bayern, der Schweiz und Österreich unterschieden. Die Landesausstellung in Kloster Ettal befasst sich mit dem «Mythos Bayern» und auch mit dem Export seiner Kultur in alle Welt.
Nach
Leavenworth hat der Export jedenfalls funktioniert. Touristen drängen sich in der Hauptstraße, die Biergärten vor den Wirtshäusern sind gut besucht, vor vielen Häusern wehen Fahnen mit weiß-blauem Rautenmuster. Und die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen, sagt Bürgermeisterin Farivar – die vor Jahren selbst Deutschland besucht hat. Was sie besonders beeindruckt hat? «Die schöne Natur und wie sauber die Städte waren.»
Fotocredits: Ute Wessels
(dpa)