Venedig – Die Buchhandlung «Acqua Alta» in Venedig hat dieser Tage nicht nur einen symbolischen Namen, sondern auch schon vorher einiges mitgemacht. Weil Hochwasser hier regelmäßig eindringt, liegen unzählige Bücher zum Schutz in Badewannen oder in einer Gondel. Doch so etwas wie in den vergangenen Tagen haben die Mitarbeiter noch nie erlebt.
Die Flut schwappte auch in Wannen und Schiffe, Bücher segelten im Wasser davon. «Wir müssen Hunderte wegwerfen», sagte Mitarbeiterin Chiara am Telefon. Helfer versuchten zu retten, was zu retten ist. «Es sind schwere Tage, aber wir machen weiter.»
Es sind nicht nur Bücher, die ihr Ende in der Mischung aus Meer-, Regen- und Schmutzwasser gefunden haben. Es sind Instrumente, wertvolle Schriften, Mosaiksteine, Karnevalsmasken, Gemälde, Gondeln, historische Möbel und Holzböden, Marmorböden und Gemäuer. Der Verlust lässt sich nicht an einzelnen Kulturgütern festmachen. Es sind nicht die einzelnen Museen, Galerien, Paläste, Kirchen und Handwerksläden, die diese Stadt ausmachen. Venedig ist ein Gesamtkunstwerk, ein von der Unesco geschütztes Kulturerbe der Menschheit. Jedes Haus im historischen Zentrum ist ein Kunstwerk.
Der Kulturbeauftragte des Vatikans, Kardinal Gianfranco Ravasi, verglich nun die Zerstörung mit dem Brand von Notre-Dame in Paris. Es habe nach dem Feuer nicht nur eine «technische Diskussion» gegeben, sagte er laut Nachrichtenagentur Ansa. «Es gab Leute, die weinten, weil sie ein großes Symbol sterben sahen. Ich würde sagen, diese kulturelle Sensibilität müssten wir wiederholen.»
Natürlich nutzen die Politiker nun symbolisch den Markusplatz mit dem Markusdom für ihre Besuche in Gummistiefeln. Sie machen ernste Minen, posten Bilder von sich selbst in dunkelgrünen Wasserhosen und geloben, alles für den Schutz der «schönsten Stadt der Welt» zu tun. Selbst Spieler der italienische Fußballnationalmannschaft schauten am Wochenende am Markusdom vorbei. Die Krypta wurde komplett geflutet. Die ganze Kathedrale habe Schaden erlitten, aber keine «irreparablen», wie Kulturminister Dario Franceschini erläuterte.
Aber auch weniger bekannte Kirchen waren betroffen. «Mindestens 60 bis 70 von insgesamt 120 standen unter Wasser», erklärte die Denkmalschutzbeauftragte der Stadt, Emanuela Carpani. Jede zweite Kirche ist also beschädigt.
In der Basilika dei Santi Maria e Donato auf der Insel Murano putzten freiwillige Helfer das byzantinische Mosaik aus dem 12. Jahrhundert. Denn das Gift ist das Meerwasser. Zieht sich das Wasser zurück, bleibt das Salz und zerfrisst langsam Marmor und Mosaike. «Das Risiko der Zersetzung ist groß», sagte Carpani. Hinzu kommen giftige Schmutzpartikel im Wasser, die von Kreuzfahrtschiffen stammen.
«Wenn man sieht, wie Straßen in reißende Flüsse verwandelt werden und Mosaike unter Wasser stehen, dann merkt man, dass das eine viel größere Katastrophe ist, als die Fernsehbilder zeigen», sagte Kulturminister Franceschini. Es sei nun ein «viel breiter gefassterer, kultureller Ansatz» notwendig. Was er damit meint, blieb unklar.
Man kann es aber ahnen. Venedig braucht eine allumfassende Lösung, wie mit den Folgen des Klimawandels und dem steigenenden Meeresspiegel umzugehen ist. Obwohl seit Jahrzehnten um einen Flutschutz gestritten wird, gibt es ihn bisher immer noch nicht. 2021 soll es nun wirklich soweit sein, dass das System namens «Mose» in Betrieb geht. Ausfahrbare Barrieren sollen die Stadt dabei an drei Laguneneingängen schützen.
Viele sind skeptisch. «Es geht nicht um dieses Hochwasser. Es geht nicht nur um den Markusdom», sagte der italienische Kunsthistoriker Salvatore Settis, der das Buch «Wenn Venedig stirbt» geschrieben hat, der Deutschen Presse-Agentur. «Ganz Venedig sackt ab. Es ist eine tragische, dramatische Lage. Weder die Regierung in Rom, noch die lokale Regierung, noch die Kommune tut was dagegen.»
Venedig muss auch eine Lösung für den Massentourismus finden, an dem die Stadt wie an einer Droge hängt. Für Settis gibt es nur radikale Maßnahmen. Erstens müssten sofort alle großen Kreuzfahrtschiffe aus der Lagune verbannt werden. «Aber für den Bürgermeister ist die Lösung, einen weiteren Kanal für die großen Schiffe zu graben», kritisierte er. Doch die Geschichte habe gezeigt, was solch ein Eingriff in das Ökosystem bedeute: 1966 überschwemmte die bisher schlimmste Flut Venedig. Kurz davor wurde der «Canale Pretrolio» ausgehoben, damit die Tanker in den Industriehafen von Marghera fahren können.
Zweitens müsse endlich Klarheit geschafft werden, ob das Flutschutzprojekt «Mose» überhaupt noch zeitgemäß und fertigzustellen sei – nach all den Skandalen der vergangenen Jahre, so Settis. Aber: «Wenn sich der Berliner Pannen-Flughafen zehn Jahre verzögert, geht Berlin nicht unter. Wenn sich «Mose» zehn Jahre verzögert, geht Venedig unter.»
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(dpa)