Madrid – Licht aus, Spot an: Langsam erhellt sich die kleine Bühne in Madrids populärem Flamenco-Tempel Casa Patas. Das Publikum sitzt erwartungsvoll in Dunkelheit.
Gitarrenspieler beginnen ihr virtuoses Spiel, begleitet vom Klatschen der umstehenden Musiker und den rhythmischen Schlägen auf einen «Cajón», ein traditionelles Perkussionsinstrument. Dann stolziert eine Tänzerin aufs Parkett: Rot-schwarzes Rüschen-Kostüm, weißes Fransentuch, Blume im Haar, die Schultern gerade, der Blick stolz.
Einen Arm nach oben gereckt, beginnt die Spanierin ihr ganz eigenes Spiel – mit Kastagnetten und den Sohlen und Absätzen ihrer Tanzschuhe, die flink und laut auf den Boden treffen. In ihren Augen spiegeln sich Liebe und Sinnlichkeit, aber auch Wut, Trauer und Leidenschaft. Die Zuschauer sind mucksmäuschenstill, beobachten ehrfürchtig das Spektakel, in dem sich Musik, Tanz und Gesang bravourös zu einer Einheit vermischen.
Flamenco als Weltkulturerbe
«Trauer, Freude, Tragödie, Frohlocken und Angst», so umschreiben die Vereinten Nationen die mit Instrumenten, Mimik, Gestik, Bewegungen und oft klagend-verzweifelter und gleichzeitig rauer Stimme dargebotene Gefühlswelt. 2010 nahm die Unesco den Flamenco in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes auf – seither wird weltweit der 16. November als Internationaler Tag dieser vor allem in Südspanien gepflegten Kunstform gefeiert.
Seine Ursprünge hat der Flamenco wahrscheinlich in der Fusion andalusischer Volksmusik mit jener der der spanischen Roma, die sich im 15. Jahrhundert in Südspanien niederließen. Lange Zeit wurden sie dort unterdrückt und ausgegrenzt. Die Situation besserte sich erst langsam im 19. Jahrhundert, als der König einigen Roma, die in der flämischen Armee gedient hatten, Schutzbriefe ausstellte. Es wird angenommen, dass so der Name des Musik- und Tanzstils entstanden ist: «Flämisch» oder «Flame» heißt auf Spanisch «Flamenco». Jedoch haben sich vermutlich auch maurische, afrikanische und nordspanische Einflüsse eingeschlichen.
Sicher ist, dass sich der Flamenco nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, wird sein Name doch genauso mit spanischer Lebensart verbunden wie die Stierrennen von Pamplona, Rioja-Wein oder Gazpacho. Auch unzählige Touristen strömen jedes Jahr in die hübschen «Tablaos Flamencos» mit ihrem charmanten Ambiente. In Madrid etwa locken an vielen Ecken Flamenco-Lokale mit brillanten Shows und bekannten Namen.
Auch ins Teatro Real, die Madrider Oper, hat der Flamenco Einzug gehalten: Seit vergangenem Herbst lädt der Salón de Baile (Tanzsalon) zu Sonderaufführungen mit so bekannten Flamenco-Stars wie Amador Rojas oder Antonio Canales. Die Zuschauer werden während der Shows mit spanischen Delikatessen verköstigt.
«Zweifellos ist die Kunst des Flamenco eines der bekanntesten Identitätsmerkmale der spanischen Kultur», sagt der Programmdirektor der
Oper, Miguel Jimenez. Vergleichbar sei das mit der Bedeutung des Tango für die Argentinier und des Fado für die Portugiesen. Kaum ein wichtiges Theater auf der Welt könne sich dem entziehen – auch die Royal Albert Hall in London, die Oper in Sidney und die Carnegie Hall in New York hätten schon Flamenco-Spektakel im Programm gehabt.
Großartige Geschichten in wenigen Sätzen
«Flamenco ist populäre Musik. Er hat eine so einfache, aber gleichzeitig so direkte und tiefe Art, über das Leben, die Gefühle und den Menschen zu sprechen», umschrieb der berühmte Flamenco-Sänger Miguel Poveda seine Kunst vor einigen Jahren im Interview mit dem Magazin HoyEsArte. «In ganz wenigen Sätzen werden hier großartige Geschichten erzählt, eine ganze Welt.»
Diese Welt vermischt sich heute auch gerne mit anderen Musikstilen, wie Jazz, Bolero und Tango oder mit karibischen Rhythmen, mit denen sie zu etwas ganz Neuem verschmilzt. Einer, der diese musikalischen Symbiosen perfektioniert hat, ist Diego El Cigala, eine der berühmtesten Flamenco-Stimmen der Gegenwart. Legendär ist sein Album «Lágrimas Negras» (Schwarze Tränen), das er 2003 mit dem damals bereits 85-jährigen kubanischen Starpianisten Bebo Valdés einspielte. Die spanische Hommage an den kubanischen Bolero brachte dem Duo unter anderem einen Grammy ein.
Unvergessen ist auch der 2014 gestorbene, weltbekannte Gitarrist Paco de Lucía, zu dessen Totenwache sogar der damalige Kronprinz Felipe kam. «Mit seiner Musik hat er es geschafft, dass wir uns eine bessere Welt vorstellen können», würdigte er wenige Monate vor seiner Thronbesteigung den Superstar, der den spanischen Flamenco in die Welt hinausgetragen und mit Elementen aus Jazz und Blues bereichert hat.
Auch ins
Guinness-Buch haben es Flamenco-Performer schon geschafft. So etwa Israel Vivancos, der 2012 die schnellsten Füße der Welt aufs Parkett brachte und mit seinen Flamenco-Schuhen in einer Minute 1317 Mal den Boden traf. Die Frauen stehen den Männern aber in dieser Disziplin kaum nach: Tänzerin Rosario Varela schaffte 2009 immerhin stolze 1274 «taps» in einer Minute.
Apropos Flamenco-Schuhe. Wie entsteht eigentlich der laute Sound, mit dem sie auf die Bühne hämmern? Das Geheimnis sind spezielle Holzabsätze- und sohlen, die mit Nägeln beschlagen werden. Erst so entsteht der unverkennbare Tanz-Rhythmus, mit dem der Flamenco Menschen in aller Welt verführt.
Fotocredits: Juanlu Vela
(dpa)