Hamburg/Kiel – Der Tod kommt um 17.40 Uhr auf dem Kreuzfahrtschiff. Ein Passagier erleidet einen medizinischen Notfall – einen Tag vor dem Ende einer zweiwöchigen Ostseekreuzfahrt während der Durchfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal am 12. Juli.
Die Reederei will über den konkreten Fall am liebsten gar nichts sagen. Die Branche reagiert bei Sterbefällen an Bord schmallippig – offensichtlich ein Tabu-Thema.
Expandierender Markt
Hochglanzprospekte versprechen Entdeckungen, Exotik, Spaß, Gourmetfreuden und Wellness auf den Weltmeeren. Mehr als zwei Millionen Deutsche buchen jedes Jahr eine Kreuzfahrt, ein expandierender Markt. Es ist davon auszugehen, dass jedes Jahr mehrere Dutzend Passagiere an Bord sterben. Doch die genaue Zahl nennt die Branche nicht.
Eine Ausnahme ist Tui Cruises: «Bei Tui Cruises gab es im Zeitraum von April 2018 bis April 2019 insgesamt elf Todesfälle an Bord von sieben Kreuzfahrtschiffen mit mehreren Hunderttausend Gästen im Jahr», sagt ein Tui Cruises-Sprecher. Nur ein einziger Suizid sei seit Gründung des Unternehmens 2008 bekannt – und das bei inzwischen mehreren Millionen Gästen.
Daniel Küblböck
Schlagzeilen machte vor knapp einem Jahr das Schicksal von Daniel Küblböck. Der einstige Teilnehmer der RTL-Castingshow «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS) verschwand am 9. September 2018 vor der Küste Kanadas von Bord der «AIDAluna». Die Ermittler gehen von einem Suizid des 33-Jährigen aus, der Leichnam wurde nicht gefunden. Vor wenigen Wochen sprang am 5. Juli eine Frau von Bord der «MSC Meraviglia» in den Skagerrak zwischen Norwegen und Dänemark. Trotz schneller Rettungsaktion mit Huschrauber starb die Deutsche.
Alters- oder krankheitsbedingte Todesfälle überwiegen. «Viele Kreuzfahrer sind älter, die Passagierzahlen steigen seit Jahren und damit logischerweise auch die Zahl der Todesfälle», sagt ein Mitarbeiter einer Schiffsmaklerei, der namentlich nicht genannt werden will. «Diskretion ist gewünscht, einen Leichenwagen schicken wir natürlich nicht auf die Pier.» Kreuzfahrtreedereien beauftragen Schifffahrtsagenturen in den Häfen oder andere Unternehmen – Tui Cruises zum Beispiel den medizinischen Dienstleister med con team aus Reutlingen (Baden-Württemberg).
Das Procedere
«Natürlich versuchen wir, aus Respekt vor den Angehörigen so diskret wie möglich mit der Situation umzugehen», sagt der Tui-Cruises-Sprecher. Über das Vorgehen in einem Todesfall heißt es lediglich: «Die Abläufe an Bord sind durch unser Qualitätsmanagement geregelt.» Costa-Kreuzfahrten teilt nur mit, solche Fälle seien «äußerst selten».
Bei Cunard sind die Schiffscrews «für verschiedenste Vorkommnisse aller Art vorbereitet und geschult, so auch für Todesfälle», wie eine Sprecherin mitteilt. «Das organisatorische Procedere ist von Fall zu Fall unterschiedlich und stets der Situation angepasst, so dass wir dieses nicht im Detail erläutern können.» Aida Cruises – nach eigenen Angaben Marktführer für Kreuzfahrten in Deutschland – bleibt ebenfalls allgemein: «Bei Todesfällen an Bord unserer Kreuzfahrtschiffe haben wir ein festes Procedere, nach dem wir vorgehen. Wir sind natürlich gut vorbereitet, um in diesen Fällen in angemessener Art und Weise zu reagieren.»
Der Branchenverband Cruise Lines International Association (CLIA) Deutschland wird konkreter und nennt unter anderem Leichensäcke: «An Bord von Kreuzfahrtschiffen gibt es in der Regel Body Bags sowie für diese Fälle vorgesehene Kühlfächer.» Diese Fächer befinden sich, wie der Mitarbeiter der Schiffsagentur ergänzt, in der Regel im Hospitalbereich der Schiffe. «Die alte Mär, Leichen würden neben den Kühlräumen für Lebensmittel aufbewahrt, ist natürlich Unfug.» Der Tui-Cruises-Sprecher betont, die Mitarbeiter im Hospital von Kreuzfahrtschiffen seien geschult und erfahren in der Betreuung Verstorbener und deren Angehörigen.
Die Übergabe an die Angehörigen oder deren Beauftragte an Land wie auch die Aufbewahrung an Bord erfolgen laut CLIA unter Achtung aller Regeln der Hygiene und Pietät. «In der Regel müssen Verstorbene im nächsten Hafen, den ein Schiff auf seiner Route ohnehin anläuft, von Bord gebracht werden», ergänzt der Mitarbeiter der Schiffsmaklerei. «Wenn also ein Schiff von New York nach Hamburg fährt, muss es nicht einen Extrastopp zum Beispiel in England einlegen.»
Beisetzung mit Schiffsärzten
Die Besetzung mit Schiffsärzten an Bord von Hochseekreuzfahrtschiffen unterliegt internationalen Vorschriften. «Außerdem gibt es auf vielen Schiffen auch Seelsorger, die sich um betroffene Passagiere und Crewmitglieder kümmern», betont die CLIA. Tui Cruises hat Geistliche nur zu besonderen Anlässen wie Weihnachten an Bord. «Dann werden sowohl Gäste als auch Crew selbstverständlich entsprechend unterstützt.»
Wenn ein Schiff einen Hafen anläuft, muss die Schiffsleitung die Anlaufpapiere ausfüllen. Dazu gehört die «Seegesundheitserklärung» – ein Formular mit Fragen, ob es Erkrankte mit ansteckenden Krankheiten an Bord gibt oder ob Menschen während der Seereise gestorben sind (kein Unfall). «Wenn es Tote gibt, schrillen bei den Behörden sofort die Alarmglocken», sagt der Mitarbeiter der Schiffsmaklerei. Stehe die Todesursache fest, könne die Agentur handeln. Fälle, in denen die Todesursache ungeklärt sei, übernähmen die Behörden.
Eine Sprecherin von Cruise Gate Hamburg – für den Terminalbetrieb zuständiges Tochterunternehmen der Hamburg Port Authority – erläutert die Zuständigkeit bei Todesfällen an Bord: Das organisatorische Vorgehen läuft nicht über den Betreiber des Kreuzfahrtterminals, sondern über den Port Agent (Schiffsmakler) und die zuständigen Behörden, Wasserschutzpolizei oder Landespolizei. Unabhängig von Todesfällen gehen bei jedem Schiff, das an der Pier festgemacht hat, als Erste der hafenärztliche Dienst, Zoll und Wasserschutzpolizei an Bord. Sie prüfen die Papiere und erteilen dann die Freigabe des jeweiligen Schiffes.
«Das dauert bei einem Kreuzfahrtschiff heute meist nicht länger als 15 Minuten», sagt der Mitarbeiter der Schiffsmaklerei. «Denn viele Daten werden schon vorher digital übermittelt.» Erst nach der Freigabe (Einklarierung) dürfen Menschen und Güter von oder an Bord.
Fotocredits: Markus Scholz
(dpa)