Frankfurt/Main – «Bitte bleiben Sie ruhig.» Konzentriert liest Heiko Grauel den Satz von dem iPad ab, das vor ihm auf einem Lesepult liegt. Und noch einmal: «Bitte bleiben Sie ruhig.» Durch eine Glasscheibe sieht der 45-Jährige den Sounddesigner, der die Aufnahme an mehreren Computerbildschirmen überwacht.
Grauels angenehme, tiefe Stimme wird bald zu den bekanntesten in ganz Deutschland gehören. Denn der Hesse aus Dreieich bei Frankfurt am Main ist der neue Ansager der Deutschen Bahn. Aus den Sätzen, die er im Tonstudio eingesprochen hat, werden die automatischen Durchsagen für alle rund 5700 Bahnhöfe des Unternehmens produziert.
60 Stunden lang dauerten die gerade abgeschlossenen Aufnahmen insgesamt, verteilt auf vier Wochen. Mehr als 14.000 einzelne Zeilen hat Grauel dafür abgelesen, vier bis fünf Stunden pro Tag verbrachte er in der Aufnahmekabine. Auch scheinbar unsinnige Sätze waren dabei. «Die restlichen Kräuter grob abzupfen» etwa – wie der 45-Jährige nun lachend demonstriert. «Entschuldigung, noch mal», sagt er ins Mikrofon und wiederholt den Satz im angemessen ruhigen und sachlichen Tonfall.
Stimme muss verständlich und sympathisch klingen
«Wichtig ist, dass die Stimme immer gleich klingt», sagt Sounddesigner Stephan Becker. Lautstärke, Betonung und Stimmfarbe wurden bei den Aufnahmen ständig kontrolliert. Schmatzer und Atmer störten ebenfalls, dann mussten die Sätze wiederholt werden.
Grauel setzte sich unter Hunderten professionellen Sprechern bei einem Casting durch, in das auch die Bahn-Mitarbeiter eingebunden waren. Dabei ging es unter anderem darum, eine Stimme zu finden, die trotz der an Bahnhöfen erheblichen Geräuschpegel deutlich zu verstehen ist. «Wir suchten nach einer professionellen Stimme, die verständlich und sympathisch klingt», sagt Daniel Labahn, der Leiter des Projekts Reisendeninformation bei den Personenbahnhöfen.
Das Unternehmen führt gemeinsam mit der neuen Stimme eine neue Technologie ein. Eine Software zerhackt die aufgenommenen Sätze in einzelne Laute und legt damit eine Bibliothek an, um sie dann zu einer beliebigen Anzahl und Auswahl an neuen Sätzen zusammenzufügen. Bisher wurden einzelne Wörter aneinandergefügt, was abgehackt und künstlich klang. Dasselbe Verfahren werde für digitale Assistenten wie Amazons Alexa oder Apples Siri benutzt.
Reisendeninformation wird rundum erneuert
«Künftig werden die Wörter besser miteinander verbunden», sagt Labahn. Zugleich werde die Bahn flexibler, da sich aus den einzelnen Lauten beliebige Wörter bilden ließen, auch auf Französisch oder Englisch. Die
Reisendeninformation soll ganz neu aufgestellt werden, sagt Labahn. «Die Verbesserungen wollen wir auch mit einer neuen Stimme zeigen.» Neben der Akustik arbeitet die Bahn auch an der Optik, dafür erhalten die Anzeiger und Anzeigetafeln ein neues Design. Die Informationen sollen zudem aus einer zentralen Quelle kommen, so dass sich etwa im Störungsfall Smartphone-Apps und Anzeigetafeln nicht widersprechen.
Der Fahrgastverband Pro Bahn begrüßt, dass eine ganzheitliche Lösung für das Thema angestrebt wird. Das gelte auch für die neue Technologie bei den Ansagen, sagt Sprecher Karl-Peter Naumann. Denn durch das bisherige System wirke die Stimme derart abgehackt, dass sie unter Reisenden als «Blech-Else» bekannt sei. «Als nächsten Schritt gibt es noch eine ganze Menge Schulungsbedarf bei den Durchsagen, die nicht vom Band kommen», sagt Naumann. Wenn die Bahn-Mitarbeiter im Störungsfall ans Mikrofon gingen, müssten sie fähig sein, verständlich und ohne Fachchinesisch zu informieren.
Neue Ansagen sind erst in einigen Monaten zu hören
Heiko Grauel werde erstmals in einigen Monaten an einem Bahnhof zu hören sein, sagt Labahn. Wo genau, werde gerade geprüft. Zum Jahresende soll der Hesse dann an den ersten Bahnhöfen mit allen Ansagen zu hören sein. Dann sollen die Stimme und die neue Reisendeninformation sukzessive ausgerollt werden.
Für Grauel heißt das, bald von 20 Millionen Reisenden und Bahnhofsbesuchern gehört zu werden, die die Bahn täglich bundesweit zählt. Diese Vorstellung sei überwältigend, sagt der 45-Jährige. «Ich habe mich auch sehr darauf gefreut, das machen zu dürfen, weil es einfach ein Riesenprojekt ist und für mich persönlich etwas ganz Besonderes.» Er fahre selbst hin und wieder Zug – mit guten Erfahrungen, sagt er. «Ich bin sehr gespannt. Ich werde also wahrscheinlich in Zukunft weniger Zug fahren, dafür mehr auf Bahnsteigen stehen und mal zuhören.»
Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)