Tübingen – Als Kriegsgerät hätte der Streitwagen nicht getaugt. Zugpferde hätten sich an den daran angebrachten Sicheln selbst aufgeschlitzt. Ausgedacht hat sich die bestialische Waffe derselbe, der auch das berühmteste Lächeln der Welt schuf: Leonardo da Vinci (1452-1519).
Die Maschinenentwürfe des Renaissancekünstlers zeigt jetzt eine Ausstellung im
Museum der Universität Tübingen (MUT). «Ex Machina – Leonardo da Vincis Maschinen zwischen Wissenschaft und Kunst» heißt die Schau. Nach Museumsangaben ist sie bundesweit die einzige große Präsentation zum 500. Todestag des italienischen Künstlers am 2. Mai.
Moderne Nachbauten der Maschinen
Die Ausstellungsstücke sind moderne Nachbauten – und Interpretationssache. Italienische Handwerker haben knapp 50 davon auf Grundlage der Zeichnungen da Vincis rekonstruiert. Rund 6000 Skizzenblätter hat der Künstler laut Kurator Frank Dürr gefertigt.
Um den Sichelwagen gruppieren sich Katapulte, eine Riesenarmbrust oder Geschosse mit mehreren Kanonenrohren – ein militärisches Arsenal. Da Vincis Ingenieursambitionen gestatten einen Blick in ein Panoptikum von Möglichkeiten, menschliches Leben auszumerzen. «Da Vinci war bekennender Pazifist», sagt Dürr. Waffen habe er nur als Auftragsarbeiten entwickelt.
Zu den Nachbauten zählen außerdem architektonische Geräte, Bauhandwerkszeug, Fortbewegungsmittel für Land, Wasser und Luft. Ein Schwungradkarussell ist darunter oder ein Korb mit gigantischen Libellenflügeln – Dinge, die wie der Requisitenfundus aus einem exzentrischen Tim-Burton-Film und aus heutiger Perspektive reichlich skurril scheinen.
Extreme aufbrechen
Tatsächlich funktionsfähig sind die wenigsten. War da Vinci, der begnadete Maler, in seiner Zweitlaufbahn lediglich ein spleeniger Möchtegern-Erfinder? Laut Museumsdirektor Ernst Seidl sind seine Maschinenskizzen jedenfalls Grund dafür, dass das göttergleich glorifizierte Universalgenie ebenso als gescheiterter Wissenschaftler und Techniker beurteilt wird. «Beides wird der Realität nicht gerecht», sagt Seidl. Die Ausstellung soll auch diese Extreme der da-Vinci-Rezeption aufbrechen.
Seidls Einschätzung nach zielte da Vinci bei seinen Maschinenskizzen gar nicht vorrangig auf den Nachweis von Ingenieurskompetenz. Für ihn existierte keine Trennung zwischen Wissenschaft und Kunst. An einer Kanonenkugel war für ihn nicht nur ihre Durchschlagskraft, sondern auch das ästhetische Moment relevant. Die Arbeit an technischen Entwürfen betrachtete er selbst als künstlerischen Prozess – und als Ventil zur Reflexion. «Da Vinci hat mit seinen Zeichnungen nachgedacht», sagt Seidl.
Enzyklopädische Rastlosigkeit
Und nachgedacht hat da Vinci wenig selektiv. Seidl zufolge hat ihn alles interessiert – aber auch schnell gelangweilt. Kaum hatte er über ein Zahnrad gegrübelt, huschten seine Gedanken schon zur Anatomie einer Schwangeren. Mit dem Bleistift versuchte er, sie zu sortieren.
Die Inszenierung der Ausstellung mit Werkstattcharakter soll da Vincis enzyklopädische Rastlosigkeit spiegeln. Die unprätentiöse Gestaltung ist aber auch Versuch, Vermarktungsstrategien bloßzustellen. Zu Beginn zeigt eine Vitrine Insignien der Leonardo-Verkitschung: Filmplakate, Zeitschriften-Cover oder ein quietschgrünes T-Shirt mit dem Teenage Mutant Ninja Turtles darauf – Comicschildkröten, von denen eine nach da Vinci benannt ist. Seidl zufolge wollen die Tübinger Ausstellungsmacher diesen Hype nicht noch weiter treiben. Stattdessen bittet ihre letzte Station die Besucher selbst zum Stift. «Auch sie sollen das Medium der Zeichnung als Inspirationshilfe wahrnehmen», sagt Seidl.
Service:
Die Ausstellung «Ex Machina – Leonardo da Vincis Maschinen zwischen Wissenschaft und Kunst» läuft vom 3. Mai bis zum 1. Dezember. Sie ist mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr und donnerstags von 10 bis 19 Uhr geöffnet.
Fotocredits: Sebastian Gollnow
(dpa)