Pontevedra – Eine Stadt ohne Autos – das muss keine Wunschvorstellung bleiben. In der Provinzhauptstadt Pontevedra im Nordwesten des Landes kommen die Menschen seit 20 Jahren fast immer ohne Wagen aus. 1999 wurde der Autoverkehr dort weitgehend aus der Innenstadt verbannt.
Bewohner sprechen von einem «Paradies». Besucher wie der Journalist Stephen Burgen vom britischen
«Guardian» stellen verwundert fest, dass die Menschen in der galicischen Stadt auf den Straßen «nicht schreien» (müssen), dass ungewöhnlich viel miteinander geredet und gelacht wird und dass man «das Zwitschern der Vögel inmitten der Kamelien» und «das Klirren der Löffel in den Kaffeetassen» hört. «Bei uns ist der Fußgänger König», meint Bürgermeister Miguel Anxo Fernández Lores im Interview stolz.
Wie funktioniert das Konzept der Autofreiheit in Pontevedra? Im Zentrum der Stadt am «portugiesischen Jakobsweg» und dem Atlantischen Ozean sieht man heute zwar hier und da noch Autos, aber nur wenige. Es sind Lieferwagen sowie Fahrzeuge von Anwohnern und des öffentlichen Nahverkehrs. Für sie alle gilt seit dem Jahr 2010 Tempo 30. Es gibt kaum Ampeln und Verkehrszeichen und nur selten klar definierte Fahrbahnen und Radwege, denn der Fußgänger hat in der gesamten Altstadt mit den vielen religiösen und anderen Gebäuden aus den Epochen der Gotik, der Renaissance und des Barocks immer Vorrang.
Das System funktioniert unter anderem auch deshalb, weil an den Zufahrtstraßen zum Zentrum rund 15.000 Parkplätze geschaffen wurden, von denen über die Hälfte gratis sind. In der Innenstadt gibt es nochmal eintausend Parkplätze, die man kostenlos, aber nur für höchstens 15 Minuten benutzen darf, wen man als Anwohner oder Lieferdienst größere oder schwerere Dinge verladen muss.
Wo es früher in der Innenstadt Parkplätze gab, entstanden im Laufe der Jahre viele Sport- und Spielplätze sowie Grüngebiete. Hinweistafeln, die an U-Bahn-Streckenpläne erinnern und
«Metrominuto»heißen, zeigen, wie weit es zu den 30 wichtigsten Punkten der Stadt ist und wie lange man bis dahin zu Fuß braucht.
«Ich habe in Madrid und anderen Städten gewohnt. Das hier ist für mich wie das Paradies», wurde eine Bewohnerin namens Raquel Garcia vom «Guardian» zitiert. Auch bei Regen (und in Galicien fällt viel Wasser vom Himmel) unternehme sie alles zu Fuß. Die Zufriedenheit wird von Zahlen untermauert: Die CO2-Emissionen gingen nach Angaben der Stadt zwischen 1999 und 2014 um 67 Prozent zurück. Seit 2007 gibt es in den verkehrsberuhigten Stadtbereichen keinen einzigen Verkehrstoten mehr. Zwischen 1999 und 2006 waren es 30.
Jene Ladenbesitzer, die anfangs noch in relativ großer Zahl protestiert und geschimpft und eine Senkung ihrer Einnahmen befürchtet hatten, reiben sich heute die Hände. Dazu gehört Miguel Lago. Er sei sehr skeptisch gewesen, räumte Lago gegenüber der Zeitung «El País» ein. Inzwischen wisse er aber: «Wichtig ist vor allem, wie viele Menschen zu Fuß an deinem Laden vorbeigehen.» In kaum einer anderen Stadt Spaniens entstanden am Stadtrand und in den Vororten so wenige großflächige Einkaufszentren wie hier.
Die Menschen in Pontevedra seien glücklicher und gesünder als vor 20 Jahren, versichert Bürgermeister Fernández Lores. «Es ist offensichtlich, dass man in einer Umwelt mit weniger Streß, Verschmutzung, Aggressivität und Verkehrsgewalt mehr vom Leben hat und gesünder lebt.» Der 64 Jahre alte Arzt, der bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahrzehnten sofort gegen den damaligen weltweiten Strom schwamm und Verkehrsreformen in die Wege leitete, muss in der Tat vieles richtig gemacht haben. Denn der Politiker der links-grünen Partei Nationalistischer Galicischer Block (BNG) wird seitdem in der einst erzkonservativen Stadt immer wieder zum Rathaus-Chef gewählt.
Fernández Lores ruht sich derweil auf den Lorbeeren nicht aus. Es gebe immer neue Herausforderungen und Ziele. «Wir sind gerade dabei, das Modell in die gesamte Provinz Pontevedra, die 900.000 Einwohner hat, zu exportieren», erzählte er. Außerdem würden in seiner Stadt ständig neue Straßen von Autos befreit. «Der Prozess der Stadtverbesserung geht nie zu Ende.»
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(dpa)